Fotovortrag über die Flucht nach Europa: Seenotrettung auf dem Mittelmeer
Aus erster Hand konnten sich interessierte Besucher am 20.07. über die Rettungseinsätze der NGOs im Mittelmeer informieren. Erik Marquardt, Fotojournalist und Direktkandidat der Grünen in Berlin, schilderte die Erlebnisse und Eindrücke seiner journalistischen Reisen nach Afghanistan und seinen beiden Rettungseinsätzen auf der Sea-Eye im Mittelmeer in einem sehr emotionalen und höchst informativen Fotovortrag im Casino des Capitol Mannheims. Ungeschönt zeigte er mit seinen Bildern das Schicksal der Menschen auf der lebensgefährlichen Reise und das Leid und die Hoffnung der Flüchtlinge und der freiwilligen Helfer an der Außengrenze der Europäischen Union.
Afghanistan: Land zwischen Terror und Chaos
Nach einer kurzen Einführung zu seiner Person berichtete Marquardt zuerst von seiner 3-wöchigen Fotoreportage nach Afghanistan. Eindrücklich schilderte er die momentane Situation vor Ort und die äußerst angespannte Sicherheitslage. Obwohl die deutsche Bundesregierung noch bis vor kurzem Abschiebungen nach Afghanistan durchführte, dürfen Angestellte der deutschen Botschaft in Kabul diese und ihre Wohnhäuser nicht verlassen. Zur Arbeit werden sie in schwer bewaffneten Konvois gefahren, gewohnt wird in schwer bewachten und abgesperrten Gated Communities. Besonders angespannt ist die Lage in Kabul. Hier hat sich aufgrund der Binnenflucht, ausgelöst durch den Krieg, die Einwohnerzahl extremst erhöht, was neben der Angst vor alltäglichen Terroranschlägen zu hohen sozialen Spannungen führt. Nach dem Mangel an geeignetem Wohnraum, respektive menschenwürdigen Unterbringungsmöglichkeiten, sind es vor allem die Arbeits- und die Perspektivlosigkeit, welche die Menschen dort zusätzlich belasten. Kinderarbeit, vor allem das Sammeln von Müll, die Unterbringung in ungeheizten Notzelten und das immer präsenter werdende Drogenproblem gehören zum Alltag im Kabuler Strassenbild. In sehr eindrücklichen Bildern zeigte Erik Marquardt die Menschen und ihre Schicksale. Manchmal in sehr schwer auszuhaltenden Bildern, manchmal aber auch in erstaunlich schönen Bildern von Menschen, die trotz allem ihren Optimismus und ihre Lebensfreude in bestimmten Situationen nicht verloren haben.
„In den Händen hielten die Kinder Sandaletten, angefressene Fingerbrotfladen, leere Kanister. Diese Kindergesichter waren, wie ich nie welche gesehen hatte, kindlich, im stürmischen Temperament dauernd begeistert, und zugleich alt, mit Tränensäcken und tief eingefressenen Falten um die Augen, um den Mund.“„Es war einmal oder nicht“, Roger Willemsen (1955-2016)
Über den Bericht von seiner Fotoreportage der Balkanroute 2015/ 2016 kam Marquardt im Anschluss zu den aktuellen Fluchtrouten nach Europa über das Mittelmeer. Auf diesen lebensgefährlichen Weg haben 2017 bisher 71.000 Menschen (Quelle: UNHCR) versucht, sich in Sicherheit zu bringen. Schätzungen zufolge sind hierbei bereits über 2.000 Menschen ertrunken, die Dunkelziffer ist allerdings sehr hoch. Im Blickpunkt der Seenotretter steht die Fluchtroute aus Libyen. Eingepfercht unter katastrophalen Bedingungen warten hier Menschen in Lagern nahezu ohne jegliche medizinische und hygienische Versorgung auf ihre Chance, ein Platz auf einem der absolut hochseeuntauglichen Schlauchboote zu bekommen. Für 1.200 Euro und mehr pro Person und oftmals unter schwersten Misshandlungen und Gewalttaten.
Seenotrettung: Harte körperliche und seelische Belastung
Erik Marquardt nun war mehrere Wochen auf dem Seenotrettungsschiff „Sea-Eye“ des Regensburger Vereins Sea-Eye e.V. unterwegs und dokumentierte neben seinem Rettungseinsatz mit der Kamera den Alltag und den Arbeitsablauf der Rettungsmissionen. Missionen, die jedes Mal anders verlaufen und bei wechselnden Freiwilligen auch jedesmal neu koordiniert und organisiert werden müssen. Innerhalb weniger Tage müssen 9 Ehrenamtliche zu einer Crew zusammenfinden, Aufgaben verteilt und die technische Ausstattung erklärt werden: Radar, Funk, Navigation, Maschinen, AIS-Transponder. Startet dann die Mission von einem der Heimathäfen aus, beginnt die körperlich und seelisch belastende Arbeit der Seenotrettung. Abwechselnd halten die Crewmitglieder nach Erreichen des Einsatzgebietes Ausschau nach kleinen und winzigsten Punkten am Horizont, welche Schlauchboote in Seenot bedeuten könnten. Selbstverständlich wird bei diesem Einsatz streng auf die Einhaltung des Internationalen Seerechts geachtet. So dringen die Schiffe der NGOs nie in die Hoheitsgewässer des libyschen Staates ein und halten den AIS-Transponder jederzeit eingeschaltet*. Wird nun ein Boot in Seenot entdeckt, erfolgt zunächst eine Funkmeldung an die italienische Seenotrettungsstelle. NGO- Schiffe selbst dürfen keine Flüchtlinge an Land bringen, dies ist alleine den Schiffen der jeweiligen Küstenwachen vorbehalten. Seenotrettung durch NGOs bedeutet vor allem zuerst einmal die Menschen aus dem Meer zu retten, an Bord zu holen und medizinische Erstversorgung zu leisten. Anschließend werden diese von der italienischen Küstenwache aufgenommen und sicher an Land gebracht. Zuvor aber steht die eigentliche Rettung der Menschen im Vordergrund. Zeitgleich mit der Funkmeldung fährt das Beiboot los und erreicht wenig später das Flüchtlingsboot, welches überfüllt ist mit Menschen. Menschen, die oftmals nicht schwimmen können und bereits stunden- wenn nicht schon tagelang auf dem Meer unterwegs sind. Unter der glühenden Sonne des Mittelmeers und ohne ausreichende Versorgung mit Flüssigkeit. Hier gilt es dann beim Eintreffen, zunächst einmal Ruhe in das Boot zu bringen und alle Menschen mit Schwimmwesten zu versorgen.
Im Anschluss müssen die Menschen aus den oftmals sinkenden oder leck geschlagenen Booten gerettet und an Bord der Sea-Eye oder des Schwesterschiffs Seefuchs gebracht werden, wo dann die medizinische Erstversorgung erfolgt und die Menschen mit Wasser versorgt werden. Die Boote selbst werden, um nicht in die Hände der Schlepper zurückzufallen oder zur Gefahr für andere Schiffe zu werden, verbrannt. Zu kritischen Situationen kann es kommen, wenn Boote der libyschen Küstenwache beteiligt sind. Oftmals arbeiten diese mit den Schleppern zusammen und versuchen, sich die Motoren der Flüchtlingsboote zu sichern, um diese mutmaßlich wieder an die Schlepper zu verkaufen. Fotodokumente belegen zumindest das „Sichern“ der Motoren durch Boote mit libyschen Hoheitskennzeichen.
Erik Marquardt schildert all diese Erlebnisse sehr eindrücklich. Bei seinen Erzählungen und Fotos steht immer der Mensch und sein persönliches Schicksal im Vordergrund. Sowohl auf seinen Fotos aus Afghanistan als auch der Balkanroute und insbesondere von seinem Einsatz auf dem Mittelmeer nehmen sie den meisten Raum ein. Zu fast jedem Gesicht hat Marquardt auch eine Geschichte zu erzählen. Dies macht seinen Vortrag nicht nur sehr persönlich sondern auch sehr emotional. Emotionen, die leider vielen Menschen heutzutage abhanden gekommen zu sein scheinen und die Frage des Schicksals von tausenden Menschen auf dem Mittelmeer zur Wahlkampfparole verkommen ist.
*Die Signatur des Schiffes und dessen Route kann man jederzeit online unter https://www.vesselfinder.com/ einsehen (Sea-Eye MMSI 244630187).